Vorarlberger Wissenschafter solidarisiert sich mit “Klimaklebern”

Am Dienstag unterstützen 40 Wissenschafter eine Verkehrsblockade der “Letzten Generation” in Wien.
Wien Für Autofahrer ist es ein Ärgernis, für viele Wissenschafter mittlerweile unumgänglich: Proteste für mehr Klimaschutz. Am Dienstagmorgen haben Klimaschützer am Wiener Praterstern den Verkehrsfluss zeitweise vollkommen zum Stillstand gebracht. Unterstützt wurden die Blockaden von rund 40 österreichischen Wissenschaftern und Wissenschafterinnen, darunter der Vorarlberger Politologe Reinhard Steurer. Die Klimaaktivisten seien “der Feueralarm für eine schlafwandelnde Gesellschaft”, sagte er.

Dass sich die Forscher hinter die Straßenblockaden der “Letzen Generation” stellten, liegt auch an Steurer. Der 51-jährige Professor an der Universität für Bodenkultur initiierte die Aktion am Dienstag. Er wolle den Aktivismus “vom wissenschaftlichen Standpunkt heraus zu unterstützen”. Die “Letzte Generation” fordert zum Beispiel Tempo 100 auf Autobahnen.
Ziviler Ungehorsam
Obwohl gerade die Wissenschaft zu konsequenteren Maßnahmen mahnt, passiert politisch viel zu wenig, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Schon im Vorjahr haben Klimaforschende weltweit zu zivilem Ungehorsam aufgerufen und sich zunehmend selbst an Protesten gegen die Klimapolitik beteiligt. Eine Rolle gespielt hat dabei auch die Rede von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres Anfang April bei der Vorstellung des jüngsten IPCC-Berichts. Er hatte in einer Brandrede zu einer Art Revolution aufgerufen.

Steurer forscht seit einem Vierteljahrhundert zu Klimapolitik. Was derzeit politisch passiere, sei vielfach “Scheinklimaschutz”, dieser bringe Wählerstimmen, weil er niemandem weh tue oder jemandem was wegnehme.
Wissenschaft und Protest
Einer der bekanntesten Demonstranten des vergangenen Jahres war der NASA-Klimawissenschafter Peter Kalmus. Am 6. April des Vorjahres fesselte er sich gemeinsam mit anderen Wissenschaftern an die Eingangstüren der US-Bank JP Morgan Chase in Los Angeles, weil das Geldhaus neue fossile Projekte finanziert. Die Verhaftung nahm er in Kauf. “Ich bin bereit, ein Risiko für diesen großartigen Planeten einzugehen.” Als er sagte, er tue das für seine beiden Söhne, bracht ihm die Stimme.
Die große Frage, die ihn antreibe sei, “was sage ich meinen Kindern, wenn sie mich in 20 Jahren fragen: ‘Wie war das damals?'”. Ob er alles getan habe, was in seiner Macht stand. “Ich bin nicht nur Wissenschafter, sondern auch Vater”, erklärte der Politologe. Steurer hat zwei Kinder, geht mit seinem Privatleben aber sehr sorgsam um, weil er, wie er sagt, davon ausgeht, dass es “immer grausiger” wird. Man habe schon in der Corona-Pandemie gesehen, wie mit der Wissenschaft umgegangen werde. Ähnliches erwarte er für die Klimakrise, je weiter sie eskaliert.
Verharmlosung und Scheinklimaschutz

Der Vorarlberger studierte in Salzburg Politikwissenschaften und Psychologie, wechselte dann nach Wien zum Institut für Nachhaltigkeitsmanagement der WU Wien. Seit 2013 lehrt und forscht Steuer an der Universität für Bodenkultur (Boku) in Wien. Seinen Forschungsschwerpunkt verlagerte er in den vergangenen Jahren weg von der Frage, wie effektive Klimaschutzgesetze aussehen müssten, hin zur großen Frage, “wie es sein kann, dass wir den Kollaps unserer Zivilisation riskieren” – und wie Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Medien damit umgehen.

Steurer denkt, die Antwort auf die Frage zu kennen. Sie liege in der psychologischen Natur des Menschen und heißt “kognitive Dissonanz”. Dieser unangenehme Gefühlszustand entsteht, wenn das eigene Verhalten nicht mit den Werten übereinstimmt. Im Falle der Klimakrise werde er durch Verharmlosung und Scheinklimaschutz ausgelöst.
“Angemessene Notwehr-Reaktion”
Laut Steurer handelt es sich bei den Protesten “um eine angemessene Notwehr-Reaktion von jenen, die schon heute wissen, wie groß die Katastrophe in wenigen Jahren werden wird, wenn sich unser Kurs nicht grundlegend ändert. Da geht es dann nicht nur um Dürren und Überschwemmungen, sondern um Millionen Tote durch Hitze und Ernteausfälle.”
15 Festnahmen

Die Polizei reagierte auf die Aktion am Kreisverkehr mit einem Großaufgebot samt Hubschrauber – 15 Festnahmen waren laut einem Sprecher der “Letzten Generation” die Folge. Festgenommen wurde so auch Martha Krumpeck, Mitbegründerin der Organisation, die erst am Vorabend in der ZiB2 zu Gast war. Sie musste bereits eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten, die ihr für wiederholte Verkehrsblockaden auferlegt wurde. Laut Sprecher der “Letzten Generation” würden die Strafen insgesamt immer mehr steigen, fing es in Wien mit Verwaltungsstrafen zwischen 50 bis 100 Euro und im Wiederholungsfall 150 Euro an, würden sich die Bußgelder für eine aktuelle Aktion in Graz bereits auf über 1000 Euro belaufen.

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